Dr. Sommer wird 50 und ich werde nostalgisch. Generationen von Jugendlichen haben die Zeitschrift BRAVO interessiert gelesen und ich war, zumindest heimlich, eine von ihnen.
Martin Goldstein war Dr. Sommer
1969 beantwortete der Düsseldorfer Psychotherapeut Martin Goldstein als erster „Dr. Sommer“ die Fragen der Teenies. 15 Jahre lang leitete er die Rubrik in der BRAVO Zeitschrift. Wöchentlich wurden tausende Briefe von ihm und seinem Team ehrlich beantwortet, denn „unverklemmt“ war die Vorgabe Goldsteins. Goldstein lebt nicht mehr, meine Erinnerungen an den Doktor sind aber sehr präsent.

Zu viel Angst, die BRAVO überhaupt zu kaufen
Denn ich war das Gegenteil von „unverklemmt“. Im zarten Alter von 13 Jahren sammelten meine Freundinnen wie verrückt BRAVO-Heftchen in ihrem Kinderzimmer und schmissen sie unters Bett, sobald ihre Eltern reinkamen. Ich war zu ängstlich, um mir im Kiosk eines dieser Exemplare zu kaufen. Denn ich wusste, dass meine Eltern mich umgehend zur Adoption freigeben oder einweisen würden. Also las ich heimlich bei meinen Freudinnen mit. Es öffneten sich Welten für mich. Welten voller Fragezeichen.
Was flog nochmal aus der Tasche von Oberstufen-Jessica?
Klar, endlich erfuhr ich, warum die Mutter meine Freundin nochmal schwanger wurde. Oder was da Gummiartiges aus der Handtasche von Oberstufen-Jessica flog, als sie in der Aula stolperte.
Trotz dieser kleinen Antworten wurden meine Fragezeichen immer mehr. Als ich das erste Mal beim Flaschendrehen einen Jungen küssen sollte, ging irgendetwas gehörig schief. Dr. Sommer hatte doch ausführlich erklärt, wie das mit dem Küssen funktioniert! Und doch traf mein Mund nur eine Stelle in seinem Gesicht, die irgendwo zwischen linkem Nasenflügel und rechtem Auge lag. Ein Desaster.
Bye BRAVO, ich bin einfach wieder zu Pferdeheften zurückgekehrt
Nachdem einige Tage später die Schamesröte in meinem Gesicht abgeklungen war, ging ich zum Kiosk und kaufte mir einen Stapel Pferdehefte. Stolz erklärte ich meinen Ausstieg aus der Welt der Nackedeis. Die BRAVO hatte ab sofort einen Leser weniger. Gut so, denn sonst wäre mein kleiner, pubertierender Kopf vor lauter Fragezeichen und vielen weiteren Katastrophen bestimmt geplatzt.
Eine Gratulation ist also irgendwie fehl am Platz. Ich kann nur sagen: Na, bravo, Dr. Sommer! Mich hast du damals ziemlich verwirrt. Gott sei Dank ist aus mir, auch ohne deine Tipps, noch etwas geworden.